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Die Nonnenempore

Im Westen der Kirche befindet sich über einem vierteiligen Gewölbe eine Empore, die mit einer hölzernen Brüstung zum Kirchenraum hin abgeschlossen ist. Sie wurde 1487 nach einem Brand erbaut. Vom oberen Kreuzgang aus hatten die Nonnen direkten Zugang zum Chor und verrichteten hier ihre Stundengebete. Nach der Reformation nutzten die Stiftsdamen den Ort, um dem Gottesdienst beizuwohnen, bis 1711 im Chor für sie Logen eingerichtet wurden.

An der Außenseite der Brüstung befinden sich zwölf emblematische Gemälde auf Holz (72 x 52), die vom Kirchenraum aus zu sehen sind. Unter jedem Bildfeld steht ein zwei- bis vierzeiliger gereimter deutscher Text. Die Malereien wurden um 1690 von den Stiftsdamen in Auftrag gegeben. Die Erfinder, Gestalter und Maler sind nicht bekannt. Die Bilder zeigen figürliche Darstellungen, die nicht einfach zu verstehen sind – es handelt sich nicht um Bibelszenen oder Heiligenfiguren, wie man sie in einer Kirche erwarten würde. Es sind vor allem Frauengestalten in roten und rotblauen Gewändern, die mit Christusfiguren interagieren, Engel und ein Teufel. Alle Szenen spielen in Landschaften mit niedrigem Horizont, viele zeigen himmlische Erscheinungen.

Hier finden Sie die zwölf Embleme mit Beschreibungen, Transkriptionen der Texte und Hinweisen auf die Parallelen in gedruckten Emblembüchern. 

An dieser Stelle bedankt sich der Freundeskreis ganz herzlich bei Prof. Dr. Ingrid Höpel. Als Expertin für Embleme hat sie uns die Texte für unsere Website geschrieben. Das hätten wir sicher in dieser Qualität und Tiefe allein nicht geschafft. Vielen Dank, dass Sie Ihr Fachwissen mit uns teilen!

Embleme als Kunstform

Um die Bilder besser zu verstehen, sollte man etwas über die Kunstform Emblem Was ist ein Emblem und über Emblembücher des 16. bis 18. Jahrhunderts wissen Das erste Emblembuch. Ein klassisches Emblem setzt sich aus einem Bild, einem Motto und einem erläuternden Text zusammen. Die Embleme wurden in Büchern gedruckt und waren europaweit verbreitet. Bauherren und Auftraggeber verwandten die grafischen Vorlagen aus weltlichen und geistlichen Emblembüchern für eine zeitgemäße Ausstattung ihrer Gebäude, sodass sich eine eigene Architekturemblematik Architekturemblematik und eine Festemblematik entwickelte. Die gemalten oder stuckierten Embleme an Decken, Emporen, Kanzeln, Gestühl und Altären bezogen sich oft auf Embleme in Büchern, wahrten aber ihre Eigenständigkeit Medienwandel.
Alle zwölf Bildfelder der Nonnenempore gehen auf Embleme in protestantischen Emblembüchern des 17. Jahrhunderts von Heinrich Müller und Johann Arndt zurück und verbinden sie zu einem neuen eigenen Programm. Dass die Wahl auf Picturae dieser beiden Emblembücher fällt, zeigt, dass die Verantwortlichen im St. Johanniskloster sich in der Emblemliteratur auskannten. Die Picturae beider Bücher zeigen ähnliche meist weibliche Figuren, die in Interaktion miteinander und mit Christus als Verkörperung der frommen menschlichen Seele, der Anima pia, fungieren. Der Wechsel zwischen den vielfigurigen Darstellungen nach Müller und denen mit nur einer oder zwei Figuren nach Arndt macht die einheitliche lebendige Bildwirkung der Empore aus. Die meisten Picturae zeigen eine bewaldete, meist bergige Landschaft, oft mit rahmenden Bäumen im Vordergrund. Die ersten fünf Felder thematisieren das menschliche Verlangen nach Gott und das dazu erforderliche richtige Verhalten. Die beiden mittleren sprechen von der Barmherzigkeit Gottes gegenüber bußfertigen Sündern und die notwendige Nachfolge Christi im Leiden. Die letzten fünf Bilder zeigen Gottes Wohltaten am Menschen durch Menschwerdung und Kreuzigung. Auswahl und Anordnung der Malereien weisen auf diesseitige Frömmigkeit als Bedingung für jenseitige Belohnung hin.
Mit den zwölf emblematischen Gemälden an der Nonnenempore hat das Johanniskloster teil an einer europaweit verbreiteten Vorliebe für die Ausstattung von Kirchen, Schlössern und Wohnhäusern mit Emblemen Embleme in Schleswig-Holstein.

Was ist ein Emblem?

Als kunstgeschichtlicher Fachbegriff benennt das Wort eine Kunstform, die im 16. Jahrhundert entstand und sich im 17. und 18. Jahrhundert etablierte und weltweit verbreitete. Gegen Ende des 18. und im 19. Jahrhundert verlor sie an Beliebtheit, wurde aber im 20. Jahrhundert künstlerisch wiederentdeckt. Ihre kunsthistorische und literaturwissenschaftliche Erforschung begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die klassische Form des Emblems enthält drei Elemente auf einer Buchseite:

InscriptioMotto – Sinnspruch
(über oder innerhalb der Pictura)

   PicturaIkon – Bild
          (Holzschnitt-Kupferstich-Radierung)

Subscriptio – Epigramm – Gedicht
(unterhalb der Pictura)

Nicht alle Elemente sind immer vorhanden. Dafür kommen häufig andere fakultative Elemente hinzu: Angabe von Bibelstellen, Bibelzitate, weitere Gedichte oder Gebete, Übersetzungen einzelner Textelemente, erläuternde Prosakommentare bis hin zu Predigten oder Abhandlungen mit ausführlichem Anmerkungsapparat, Zitate der antiken Literatur oder der Kirchenväter, manchmal auch Noten.
In der klassischen Form des Emblems stehen die drei Elemente Pictura, Motto und Subscriptio in einem Rätsel-Verhältnis zueinander – Bild und Motto formulieren ein Rätsel, das nicht ohne die Subscriptio verständlich wird. Diese klassische Form verändert sich im Lauf der Entwicklung, so dass Bild und Text in verschiedene Relationen zueinander treten können. In der Architekturemblematik fehlt die Subsriptio häufig ganz, dann können Situation und Funktion im Raum zur Erklärung herangezogen werden.

Das erste Emblembuch 1531

1531 erschien in Augsburg unter dem Titel Emblematum liber das erste Emblembuch überhaupt – in lateinischer Sprache bei einem deutschen Verleger und illustriert von einem Augsburger Künstler. Verfasser war der humanistisch gebildete italienische Jurist Andreas Alciatus (1492-1550), der aus Mailand stammte und in Lyon in Frankreich lehrte. Daran lässt sich der europäische Charakter der Emblematik schon in ihrer Geburtsstunde ablesen. Alciatus‘ Embleme verbinden Holzschnitte mit Motti und Epigrammen, die zum Teil Nachdichtungen antiker Autoren sind. Die Themen seines Buchs stammen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, aus der antiken Mythologie, aus der ägyptischen Hieroglyphik, aus mittelalterlichen Tier- und Kräuterbüchern wie dem Physiologus, aus Sprichwort-sammlungen, Reisebeschreibungen oder aus der Heraldik. Sein Werk verstand sich als eine Samm-lung allgemeingültiger Lebensweisheiten und Verhaltensregeln, es wollte erzieherisch wirken und ethische und moralische Anweisungen geben, dies aber nicht nur auf ernste Art, sondern mit Witz und Hintersinn, so dass die Belehrung in angenehmer Verpackung daherkommen konnte. Deshalb sollte der Sinn eines Emblems nicht auf den ersten Blick ersichtlich sein, sondern es stellte sich als Rätsel dar, das sich erst bei genauer Betrachtung aus dem Zusammenwirken von Bild und Wort erschließen ließ. Der Deutungsprozess sollte – nach Horaz – utile et dulci, lehrreich und vergnüglich zugleich sein.

Buchemblematik vom 16. bis 18. Jahrhundert

Das Buch machte Schule. Um die Mitte und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts brach ein regelrechtes Emblembuchfieber aus. Es ist heute kaum noch vorstellbar, wie die Emblemmode um sich gegriffen haben muss. Juristen, Diplomaten, Mediziner, Naturwissenschaftler, Dichter, Künstler und auch besonders viele Geistliche aller Konfessionen griffen die Idee auf, über diese publikums-wirksame druckgrafische Verbindung von Bild und Text ihre Ideen zu verbreiten. Dabei entwickelten sie die verschiedensten Formen von Emblemen und Emblembüchern und setzten unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Mediziner und Naturwissenschaftler verfassten Bücher mit botanischer und faunistischer Thematik, Juristen und Diplomaten schrieben emblematische Fürstenspiegel zur Erziehung der Söhne und Thronfolger, im Rahmen der ars amatoria entstanden Liebesembleme, Geistliche entwarfen Emblembücher, die sich mit erbaulichen Inhalten und biblischen Themen be-fassten. Die Emblematik erfasste Gesamteuropa, von England und Schottland im Westen bis nach Polen, Russland und in alle slawischen Länder, von Skandinavien über die deutschsprachigen Regionen bis nach Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Die ursprünglich lateinisch geschriebenen Bücher wurden in die Nationalsprachen übersetzt oder erschienen polyglott, mehrsprachig.

Architekturemblematik vom 16. bis 18. Jahrhundert

Eine Folge dieses Emblembooms war, dass adlige und bürgerliche Bauherren, Architekten, Künstler, Pastoren und Kirchenvorstände Embleme in der Architektur, in Innenräumen und an Fassaden in Auftrag gaben. Embleme konnten zur Selbstvergewisserung und Außendarstellung der Bauherren und Bewohner dienen. Nicht um innovative Gestaltung ging es dabei, sondern um eine umfassende Kenntnis der Geschichte und um einen souveränen Umgang mit der Tradition. Je besser man sich auskannte und je umfassender und gezielter man zitierte, umso größer waren Ansehen und Bedeu-tung der eigenen Gestaltung. Embleme wurden in profaner und sakraler Architektur verwendet – im Schlossbau sowie in der Ausstattung von Schlosskirchen und -kapellen. In den Kirchen greift man auf geistliche Emblembücher zurück. Embleme wurden in katholischen Kirchen im Süden angebracht – dort vor allem an den oft stuckierten Decken – im Norden vorwiegend an den Emporen und am Gestühl oder an bemalten Holzdecken. Diese Form der angewandten Emblematik außerhalb des Buchs eroberte ganz Europa und über Missionare auch Südamerika, Japan und China. Bei der Umsetzung in der Architektur oder auf Gebrauchsgegenständen wie Schränken, Bechern oder Gläsern wurden oft die längeren Textelemente, die Subscriptiones, weggelassen.

Festemblematik

Embleme dienten außerdem zur Gestaltung höfischer Feste und Festumzüge. Bei Taufen, Hochzei-ten oder Begräbnissen war die Emblematik häufig ephemer, vergänglich, etwa in Garten- und Tischdekoration, Fensterilluminationen, Theaterkulissen, Balletten, Feuerwerken und Aufzügen. Manchmal wird diese ephemere Emblematik in Beschreibungen und Kupferstichen überliefert. So gibt es zahlreiche Dokumentationen emblematisch gestalteter Begräbniszeremonien mit Darstellungen von Emblemen auf Särgen und Katafalken, Triumphsäulen und Obelisken. Viele Kirchenausstattungen und Trauerzüge sind durch Beschreibungen und Kupferstiche in gedruckten Leichenpredigten überliefert.

Medienwandel

Für viele der Emblemzyklen in der Architektur lassen sich Quellen in gedruckten Emblembüchern finden. Das ist aber nicht immer so. Es gibt Architekturembleme, die erst im Nachhinein in Buchform veröffentlicht wurden, zum Beispiel die Embleme des Nürnberger Rathauses. Und es gibt Embleme in Räumen, die eigens für diesen architektonischen Raum erfunden und gestaltet wurden. In Schleswig-Holstein gibt es dafür ein berühmtes Beispiel, die 24 Embleme am Altar der Marienkirche in Bad Segeberg. Andere emblematische Raumensembles, wie die Bunte Kammer in Ludwigsburg bei Eckernförde, wurden nach verschiedenen Emblembüchern zusammengestellt – die ursprünglich 175 Embleme der Bunten Kammer gehen auf mindestens 23 verschiedenen Bücher zurück. Hier im St. Johanniskloster gibt es drei Buchvorlagen. Man darf sich die Übernahme aus Büchern aber nicht als einfaches „Zitieren“ oder „Abmalen“ vorstellen. Bei dem Prozess werden viele Veränderungen vorgenommen: Die Architekturembleme stellen immer eine Auswahl für den konkreten Ort dar. Sie werden in eine neue Abfolge gebracht und zu einer eigenen Aussage zusammengestellt. Sie werden vom grafischen Kleinformat in ein größeres Tafel- oder Wandgemälde überführt, zum Schwarzweiß der Grafik kommt als ganz neues Gestaltungselement die Farbe hinzu. Die Motive werden abgewandelt, oft werden Details weggelassen, eigenes wird hinzuerfunden, die Schwerpunkte werden neu gesetzt. Die Überführung der Buchgrafik in den Raum, der Medienwechsel, stellt eine eigene inhaltliche und künstlerische Gestaltungsleistung dar.

Heinrich Müller

Heinrich Müller (1631-1675) war ein Rostocker lutherischer Theologe, der als Verfasser von Erbauungsbüchern bekannt war, seine Predigtsammlungen waren weit verbreitet. An der Empore des St. Johannisklosters wurden zwei Ausgaben eines Emblembuchs verwendet, das 1659 zum ersten Mal mit 36 Emblemen und anschließend mehrfach mit neuen, leicht veränderten Picturae gedruckt wurde: „Himmlischer Liebes-Kuß / Oder Übung deß wahren Christenthumbs / fliessend auß der Erfahrung Göttlicher Liebe [… ]“ Franckfurt, Joachim Wilde 1659. Fünf der zwölf Picturae an der Nonnenempore gehen auf dieses Emblembuch zurück (Tafel 1, 4, 7, 9 und 11). Die Subscriptiones gibt es in dieser ersten Ausgabe noch nicht, sie wurden aus einer späteren Ausgabe von 1669 mit demselben Titel hinzugefügt.

Johann Arndt

Johann Arndt (1555-1621) war ein lutherischer Theologe. Zur Zeit der ersten Ausgabe seiner bekannten Bücher vom wahren Christentum war er Pfarrer in Braunschweig, später Generalsuperintendent in Celle. Die weit verbreiteten vier Bücher vom wahren Christentum erschienen in insgesamt 123 verschiedenen Auflagen. Erst nach seinem Tod wurden Embleme in das Erbauungsbuch eingefügt, die erste bekannte Ausgabe mit Emblemen erschien 1678-1681 in Riga. Fast gleichzeitig erschien 1679 in Lüneburg im Verlag Stern die Ausgabe mit den Picturae, die im St. Johanniskloster verwendet wurden: Vier Bücher Vom wahren Christentumb / […], Lüneburg, von den Sternen 1679. Sieben der Bildtafeln gehen auf diese Lüneburger Ausgabe zurück (Tafel 2, 3, 5, 6, 8, 10 und 12).  

Embleme in Schleswig-Holstein

Das Johanniskloster vor Schleswig ist einer von etwa 20 sakralen und profanen Emblemorten in Schleswig-Holstein, die sich von Itzehoe und Eiderstedt im Westen, Enge, Bargum, Leck, Kappeln und Gelting im Norden über Gut Ludwigsburg bei Eckernförde, Gettorf, Bad Bramstedt und Bad Segeberg bis nach Gut Gaarz im Osten erstrecken. Schleswig-Holstein hat damit Teil an einer europaweiten Emblemkultur. Die Embleme von Johann Arndt nach der Rigaer Ausgabe sind besonders in Dänemark weit verbreitet, während die Übernahme der Lüneburger Embleme bisher sonst nicht nachgewiesen wurde.